Für viele Hoteliers, denen seit langem der Wert der «menschlichen Note» eingetrichtert wurde, mag der Begriff "People Analytics" wie ein riesiges Paradoxon wirken - wie können kalte, harte Zahlen verwendet werden, um den immateriellsten und unschätzbarsten Aspekt unserer Branche zu analysieren: unsere Mitarbeiter?
In einem EHL-Webinar mit Dr. Sébastien Fernandez, ausserordentlicher Professor an der EHL, Andrew Newmark, Vice President of Human Resources, APEC bei Marriott International, und Dr. Michael Fung, stellvertretender Geschäftsführer bei SkillsFuture Singapur, erklärten sie genau, warum People Analytics nicht nur in der Hotellerie, sondern auch im weiteren Bereich des Talent- und Workforce-Managements notwendig ist. Die Experten vertraten drei verschiedene Perspektiven: die akademische, die branchenspezifische und die nationale Sichtweise. Jeder von ihnen vermittelte eine starke Botschaft darüber, warum und wie Daten personalbasierte Entscheidungen vorantreiben können.
Wissenschaftlich gesprochen ist People Analytics: «der Prozess des Sammelns, Analysierens, Interpretierens und Berichtens von personenbezogenen Daten, um die Entscheidungsfindung zu verbessern, strategische Ziele zu erreichen und einen Wettbewerbsvorteil zu erhalten» (Bauer, Erdogan, Caughlin & Truxillo, 2019). Mit anderen Worten, bei People Analytics geht es darum, Daten zu nutzen, um langfristige strategische Entscheidungen zu treffen. Insbesondere in der heutigen technologiebasierten, aber dennoch auf menschliche Berührung ausgerichteten Welt, ist dieser Prozess essenziell. Die zunehmende Bedeutung von People Analytics ist nicht unbemerkt geblieben - Unternehmen wie Marriott International und Länder wie Singapur haben bereits aktiv in People-Analytics-Funktionen investiert, um Entscheidungen voranzutreiben.
Eine genauere Definition von People Analytics finden Sie hier.
«der Prozess des Sammelns, Analysierens, Interpretierens und Berichtens von personenbezogenen Daten, um die Entscheidungsfindung zu verbessern, strategische Ziele zu erreichen und einen Wettbewerbsvorteil zu erhalten»
What is ‘People Analytics’? Bauer, T. N., Erdogan, B., Caughlin, D. E., & Truxillo, D. M. (2019).
Human resource management: People, data, and analytics. Thousand Oaks, CA: Sage.
Jedes Unternehmen sucht andere Qualitäten bei seinen Mitarbeitern und entwickelt dementsprechend seine eigenen Wege, um seine potenziellen Star-Mitarbeiter zu identifizieren - wobei Daten eine Schlüsselrolle spielen können. In einem interessanten Beispiel des berühmten Arbeitgebers Google wies Sébastien darauf hin, dass: «[Google] eine Menge Daten verarbeitet, so dass sie manchmal sechs oder sieben verschiedene Interviews führen. Durch Regressionsanalysen haben sie festgestellt, dass ein zweites Interview die Vorhersage der zukünftigen Leistung eines Mitarbeiters verbessert. Und mit einem dritten, verbesserte sie sich sogar noch mehr. Das vierte, noch besser - aber dann beobachteten sie, dass die Durchführung eines fünften Interviews keinen vorhersagbaren Wert hinzufügt. Sie sahen das und sagten: ‘Okay, vier Interviews sind genug’. Das ist also ein gutes Beispiel dafür, wie Daten eine Antwort auf die sehr grundlegende Frage von HR-Prozessen geben.»
Aus der Perspektive eines Hotelunternehmens kann People Analytics nützlich sein, um zu messen, wie Talentmanagement die Ergebnisse des Unternehmens beeinflusst. Andrew erklärte:
«Zum Beispiel [bei Marriott] liegt unser Fokus auf dem Engagement unserer Mitarbeiter - aber dann schauen wir uns an, wie wir dieses Engagement mit unseren Gästezufriedenheitswerten oder anderen Schlüsselkennzahlen verknüpfen. [...] Das hilft uns, Best Practices zu identifizieren und unsere Hotels zu unterstützen, in denen das Engagement [und die Gästezufriedenheit] vielleicht nicht so stark sind [wie in unseren Spitzenhotels].» Mit anderen Worten: Daten sind entscheidend, um zu verstehen, ob wir unsere Mitarbeiter richtig führen - und wenn nicht, zeigt es auf, wie es sich auf das Geschäft auswirkt und wie man es ändern kann.
In einem grösseren Rahmen kann die Personalanalyse auch entscheidend sein, um gesunde langfristige Perspektiven für die Wirtschaft eines Landes zu gewährleisten. Wie Michael beschreibt:
«Neue Technologien, die Auswirkungen einer längeren Lebenserwartung, Globalisierung, Pandemien - all das sind Störungen, die die Art der Arbeit und damit auch die erforderlichen Qualifikationen verändern. Der Einsatz verschiedener People-Analytics-Tools kann [uns] dabei helfen, den Bestand und die Entwicklung von Qualifikationen innerhalb des Arbeitsmarktes zu bewerten und neu entstehenden Qualifikationen zu identifizieren, welche benötigt werden. Auch kann es helfen politische Interventionen zu entwerfen, um etwaige Lücken zu schliessen. [...] Dies ist entscheidend, um sicherzustellen, dass unsere Arbeitskräfte wettbewerbsfähig und relevant bleiben und dass wir keine strukturellen Probleme mit einer Diskrepanz zwischen den Qualifikationen in der Wirtschaft haben.»
Die strategische Entscheidungsfindung ist ein hochgradig iterativer Prozess - wir müssen Entscheidungen zunächst umsetzen, ihre Ergebnisse messen und sie danach kontinuierlich verbessern. Von den drei Metriken zur Messung der Stärke unserer strategischen Entscheidungen, die von Boudreau & Ramstad (2007) vorgeschlagen wurden, «ist der beste Blickwinkel die Auswirkung», schlug Sébastien vor: «Inwieweit wirkt sich die Anwendung dieses Verfahrens auf das Unternehmen aus? [...] Vielleicht kann der Einsatz eines kostspieligen Verfahrens wie eines Assessment-Centers uns helfen, gute Führungskräfte zu finden, die einen positiven Einfluss auf das Unternehmen haben werden.» Mit anderen Worten: Daten können genutzt werden, um zu analysieren und die richtigen Kompromisse zu finden, die wir eingehen sollten, indem wir die Auswirkungen unserer strategischen Entscheidungen messen.
Werden Sie strategischer mit HR Metriken (Boudreau & Ramstad, 2007)
Übersetzte Illustration von: Metrics for measuring strategic decisions. Bodreau, J. W., & Ramstad, P. M. (2007). Beyond HR: The new science of human capital. Cambridge, MA: Harvard Business Press
Andrew teilt seine Erfahrungen von Marriott: «Wir gingen einmal in [ein Anreiz/-Bonusprogramm] in dem Glauben, dass High-Performer belohnt werden. Aber als wir uns die Analyse des Plans und der Auszahlungen ansahen, stellten wir fest, dass die 'High Performer' ihre Ziele erreichten, weil sie in ihrer Zielsetzung recht bescheiden waren, während die 'Low Performer' sich sehr ehrgeizige Ziele setzten und diese nicht erreichten, aber tatsächlich mehr Ergebnisse für das Unternehmen einbrachten - trotzdem wurden sie dadurch nicht belohnt.» Durch die richtige Datenerfassung und -interpretation können Unternehmen die Auswirkungen ihrer Entscheidungen auf ihre Mitarbeiter und das Unternehmen messen und diese Erkenntnisse zur Verbesserung und Optimierung ihrer Mitarbeiter und Gewinne nutzen.
Aus einem eher makroökonomischen Blickwinkel betrachtet, sind personenbezogene Daten der Schlüssel zur Steigerung der Leistung der Arbeitskräfte eines Landes. In Singapur werden umfangreiche Daten gesammelt, um eine Sammlung von Fähigkeiten zu erstellen, die die Wirtschaft in jeder Branche und Jobfunktion benötigt. Des Weiteren kann basierend darauf definiert werden, wie die Arbeitskräfte geschult werden können, um diese Anforderungen zu erfüllen. «Die Idee ist, dass wir diese Informationen nutzen, um Einzelpersonen, die sich weiterbilden wollen [...] und Unternehmen, die verschiedene Arten von Fähigkeiten und Funktionen aufbauen wollen, anzuleiten. Schulungsanbieter können die Erkenntnisse ebenfalls nutzen, um zu verstehen, welche Art von Fähigkeiten gefragt sind, und ihr Angebot entsprechend anpassen. Für politische Entscheidungsträger würden wir dann auch Interventionen einleiten, die darauf abzielen, diese Qualifikationslücken zu überbrücken», erklärt Michael. Workforce Analytics kann also von verschiedenen Stakeholdern genutzt werden, um mit der sich verändernden Umgebung Schritt zu halten und sicherzustellen, dass eine Wirtschaft und ihre Mitarbeiter wettbewerbsfähig bleiben.
Talentmanagement im Gastgewerbe kann eine besondere Herausforderung sein, wenn man die unterschiedlichen Hintergründe und Bedürfnisse der Menschen bedenkt, die in diesem Sektor arbeiten. Vor allem als die Fachkräfte des Gastgewerbes die Hauptlast der COVID-19-Krise trugen, wurde die Sorge um ihr psychisches Wohlergehen für die Arbeitgeber noch grösser. Bei Marriott beschrieb Andrew, wie sie in der Lage waren, Daten zu sammeln und zu nutzen, um ihre Mitarbeiter durch eine Resilienz Bewertung zu unterstützen: «Was wir herausfanden, war, dass die Mitarbeiter und Führungskräfte insgesamt resilient waren - aber sie brauchten trotzdem mehr Unterstützung von uns. Es gab auch Unterschiede in den Bedürfnissen, basierend auf demografischen Merkmalen, [Art der Position, Geschlecht usw.], was uns half, gezielt zu ermitteln, wo wir mehr oder anders arbeiten müssen [um sie weiter zu unterstützen].»
Aus der Perspektive eines Landes können die Daten genutzt werden, um Arbeitnehmer auf andere Weise zu unterstützen: «Eine Reihe von Hotels hier [in Singapur] mussten [aufgrund von COVID-19] Arbeiter entlassen. Die Frage ist nun, wie wir die Fähigkeiten dieser entlassenen Arbeiter identifizieren können, um sie an neue Jobs zu vermitteln, in denen sie ähnliche oder benachbarte Kompetenzen haben. Mithilfe der Datenbank und der Daten, die uns zur Verfügung stehen, konnten wir die Arten von Arbeitsplätzen analysieren, die für sie in Frage kommen, basierend auf den Arbeitsfunktionen der entlassenen Mitarbeiter», erklärt Michael.
Gleichzeitig waren die Auswirkungen der COVID-19 Pandemie nicht nur auf das Gastgewerbe beschränkt - als Nation war Singapur auch proaktiv bei der Identifizierung der Bedürfnisse und Herausforderungen anderer Sektoren. Michael fuhr fort: «Wir haben uns auch die Sektoren angeschaut, in denen es ein Wachstum der Nachfrage gab. Zum Beispiel im Gesundheitswesen, im E-Commerce, bei Sicherheitsdiensten und in der Reinigung gab es Wachstum. Aber wie nutzen wir dann diese Daten und Informationen, um ein [Talent-]Matching durchzuführen? Es ist nicht perfekt. Es sind immer noch viele menschliche Faktoren involviert, aber es gab uns die richtige Richtung, in die wir uns bewegen konnten, als wir uns diese Entwicklungen im Umgang mit der COVID-Pandemie ansahen.»
Trotz der Möglichkeiten, die die Personalanalytik bietet, ist es wichtig zu erkennen, dass es immer noch einen starken menschlichen Aspekt beim Management von Mitarbeitern gibt. «Wir würden nie einfach [einen General Manager aufgrund] einer analytischen Bewertung einstellen», betonte Andrew, «[Analytics] ersetzt nicht die Gespräche, denn wir müssen in der Lage sein, die Ansichten der Stakeholder einzubringen [um eine Entscheidung zu treffen. [...] Daten sind der Gesprächsstarter, aber man will die Expertise und Eindrücke aus der Situation einbringen, um die Entscheidung zu treffen.»
Ähnlich ist es in Singapur: «Wenn wir uns die Diskrepanzen zwischen den Qualifikationen anschauen, geht es nicht nur um den jetzigen Zeitpunkt, sondern auch um mögliche zukünftige Unstimmigkeiten. Es wird viel über Technologie und künstliche Intelligenz gesprochen, die Routineaufgaben ersetzen. Das wird sich auch auf unsere Arbeiterschaft auswirken, und deshalb müssen wir aus dieser Perspektive vorausplanen. Es ist wichtig, Daten zu haben, um sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und eine Basis zu haben. [Aber] das ist nicht alles. Es muss immer noch ein gewisses Mass an Urteilsvermögen darüber vorhanden sein, wie sich die Wirtschaft entwickeln wird, wie sich die globalen Trends auf Singapurs Wirtschaft, seine Arbeitskräfte und seine Unternehmen auswirken werden», fügte Michael hinzu.
Mit anderen Worten: Ob aus der Perspektive eines Unternehmens oder eines Landes, Daten können bei der Entwicklung unserer strategischen Entscheidungen von grosser Bedeutung sein - sie sind jedoch nicht das A und O. Daten sind ein Werkzeug für Menschen, um das menschliche Urteilsvermögen zu verbessern, nicht zu ersetzen. Jedoch sollten wir weiterhin Daten nutzen, um eine effektivere, menschliche Entscheidungsfindung zu fördern.
COVID-19 hat viele Trends in der Arbeitswelt beschleunigt, einschliesslich einer höheren Anpassungsfähigkeit der Arbeitskräfte und einer grösseren Leichtigkeit im Umgang mit Remote-Arbeit und Technologie. Mit Blick in die Zukunft «denke ich, was klar ist, ist, dass wir mehr und mehr technologiebasiert sind, digitale Fähigkeiten werden wichtig sein, aber auch die Soft Skills - [wie] Agilität, Anpassungsfähigkeit und Belastbarkeit», schlug Michael vor. Vor allem für das Gastgewerbe hat COVID-19 zu einer grossen Veränderung des Betriebsmodells von Hotels geführt, die ihre Kosten drastisch senken und über lange Zeiträume mit Notbesetzungen arbeiten mussten. Andrew fügte hinzu: «Ein grosser Fokus für uns [in Zukunft] liegt auf Multiskilling und darauf, keine reinen Rezeptionisten einzustellen, sondern Generalisten, die in verschiedenen Funktionen arbeiten können [...] und unsere Mitarbeiter übergreifend zu schulen.»
Da sich unser Arbeitsumfeld weiterentwickelt, wird die Nutzung von Daten und Personalanalysen zur Identifizierung und Schulung der benötigten Fähigkeiten von entscheidender Bedeutung sein, um unser Unternehmen und unsere Belegschaft auf lange Sicht zu optimieren.