Michel Magada, Dozent für "Practical Arts" am EHL Campus Lausanne, ist auf Forschung und Entwicklung im Bereich der Lebensmittelwissenschaften spezialisiert. Er erforscht neue Kochtechnologien und wie man diese am besten lehrt. Nach jahrelanger Lehrtätigkeit versetzte er sich nun in die Lage der Studierenden und besuchte einen Online-Kurs über Wissenschaft und Kochen: Von der Haute Cuisine zur Wissenschaft der Weichen Materie (Chemie). Dank dieser Erfahrung denkt er darüber nach, wie Kochkünste in Zukunft unterrichtet werden sollten.
Digitalisierung im Culinary Arts Unterricht
1. Wie hat sich die Digitalisierung des Lehrens und Lernens in den Practical Arts Fächern eingegliedert?
MM: An der EHL gibt es «Flipped Classrooms» und «Blended Learning» schon seit einiger Zeit in unserem Culinary Arts Unterricht. Seit ein paar Jahren vermitteln wir bestimmte Teile des Lehrplans über Videos auf Moodle und das hat immer gut funktioniert. Die Videos sind nicht länger als 5 Minuten, voller Infografiken und interessanter Erzählungen; die Studierenden haben dann die Aufgabe, selbst ein ähnliches Video zu produzieren, um zu zeigen, was sie verstanden haben.
Kurz gesagt, wir nutzen digitalisierte Formate, um den Lernprozess zu unterstützen. Zum Beispiel ermutigen wir die Studierenden ihre Arbeit mit MOOC-Material (massive open online courses) durchzuführen. Das ist das Tor zum selbstgesteuerten Lernen und zur proaktiven Forschung, die für alles, was wir an der EHL tun, wesentlich ist.
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2. Was haben Sie gelernt, als Sie sich in die Lage der Studierenden versetzt und an einem Online-Kochkurs teilgenommen haben?
MM: Durch die Teilnahme an einem Haute-Cuisine-Kurs, der komplett online abgehalten wurde, sind mir viele Dinge bewusst geworden, vor allem die Menge der vermittelten Informationen. Ein grosser Teil des Kurses wurde im Voraus aufgezeichnet, so dass es praktisch war, auf Pause und Wiederholung drücken zu können.
Mir wurde auch bewusst, wie wichtig eine gute Sprache ist: Die Erklärungen müssen klar und in einem guten Tempo sein. Bei einem Fernunterricht, der live gehalten wird, ist es wichtig, dass man innehält, pausiert und sich vergewissert, dass man die Informationen verdaut hat, bevor man schnell weiterredet. Nicht zu viel auf einmal vermitteln. Bei der Digitalisierung des Vorbereitungskurses achte ich darauf, wie ich die Anweisungen dosiere; ich halte sie kurz und wesentlich.
Ausserdem habe ich im Live-Unterricht etwas über Körpersprache gelernt. Der Lernerfolg ist grösser, wenn der Dozent nicht hinter dem traditionellen Pult sitzt, sondern sich in der Klasse bewegt und mehr im Raum der Studenten ist. Durch die Verwendung von Videos und des Fernsehbildschirms als zentraler Unterstützung kann der Lehrer freier und effektiver interagieren und eine bessere Beziehung zu den Schülern aufbauen.
3. Wie findet man die Balance zwischen virtuellem Lernen und praktischer Erfahrung im Klassenzimmer?
MM: Ich würde sagen, dass 40 % digitales und 60 % praktisches Lernen die richtige Balance ist. Wie wir gesehen haben, spielt der digitale Aspekt in unserem Programm eine immer wichtigere Rolle. Unsere Öfen und Kochzeiten werden digital gesteuert; unsere wichtigsten Lebensmittelthemen werden digital erklärt; die Schüler werden am Ende des Kurses über ein digitales Quiz getestet; Virtual-Reality-Rundgänge durch unsere Küchen und Labore stehen vor der Tür.
Die "Seele" eines Rezepts kann jedoch nur selten aus der Ferne erfasst werden. Trotz der wertvollen Lebensmittelrecherchen, die online durchgeführt werden können, gibt es magische Prozesse, um ein Rezept zum Leben zu erwecken, die nur in der Gegenwart stattfinden können. Wenn es beispielsweise um die Zusammenarbeit mit dem Nestlé-Forschungs- und Entwicklungslabor geht, werden unsere Studierenden angewiesen, so viel wie möglich selbständig vorzubereiten, aber das Experimentieren mit neuen Ideen für Fingerfood oder pflanzliche Proteine erfordert einen praktischen Ansatz, um wirklich effektiv zu sein.
4. Wie kann die Zukunft der praktischen Ausbildung aussehen?
MM: Der Einfluss der digitalen Technologien im Bereich der praktischen Künste hat für mich die Beziehung zwischen Dozierenden und Studierenden grundlegend verändert. Damit meine ich die Tatsache, dass ich nicht mehr die einzige Quelle für Informationen und Anweisungen bin. Die Zeiten in denen der Dozierende als Halbgott fungierte sind vorbei. Das hat unsere Interaktion weniger formell, direkter und zugänglicher gemacht. Die Studierenden können mir neue Lernquellen erschliessen, und ich ihnen.
Auch die Rezepte und die Einstellung zum Essen haben sich verändert. Die kulinarische Welt befindet sich in ständiger Entwicklung; die Technologie beeinflusst, wie wir Lebensmittel anbauen, produzieren und liefern. Von der Blockchain-Transparenz bis hin zur Nutzung der Grundsätze der Biomimikry ist es unsere Aufgabe im Bereich der lebensmittelwissenschaftlichen Forschung und Entwicklung, mit diesen Veränderungen Schritt zu halten.
Ich glaube fest an «Trop c'est ennemi du bien», was so viel bedeutet wie «Zu viel ist der Feind des Guten». Wie bereits erwähnt, muss der Unterricht in den praktischen Künsten das Beste aus dem digitalen und dem praktischen Ansatz herausholen. Wenn sie strategisch eingesetzt werden, bleibt mehr Zeit für den praktischen Unterricht. Das Bildungswesen durchläuft derzeit eine Zeit des grossen Wandels. Viele der heutigen Wahrheiten werden wahrscheinlich schon morgen in Frage gestellt werden. Es geht darum, sich auf diese Eventualitäten vorzubereiten; zu wissen, was man beibehalten und was man anpassen muss.